Manchmal erhält der Werbetexter rätselhafte Mails voller Vorwürfe und Kritik von Kollegen. – Die sind doch selbst schuld, wenn sie mir schreiben, oder?
Brief von Frau K., Texterin
Ich selbst bin auch Werbetexterin – ohne das große Glück in einer Agentur „groß geworden“ zu sein, da ich vor meinem 2. Durchstart ins Berufsleben als Texterin auch noch 15 Jahre Berufsleben als Sachbearbeiterin, Korrektorin, Sekretärin und Telefonistin hatte. Da ich für alles offen bin und mich auch gerne beraten lasse um besser zu werden, hatte ich Ihre Seite jetzt mal besucht.
Mir ist – aus der Sicht eines Kunden – folgendes aufgefallen:
Als Kundin wäre ich jetzt über „Aufklärungsarbeit“, wer der „Richtige“ für mich ist, etwas verletzt. Das würde bedeuten, Sie trauen mir als Kundin kein eigenes Urteilsvermögen zu. Ich würde mich auch sehr verunsichert fühlen: „Wie? Was? Woher will DER jetzt wissen, welchen Texter ich brauche?“ – Fakt ist: Verunsicherte Kunden reagieren meist negativ – und gehen.
Die Ausdrücke „Warnung“ vor „Radio Dauerwelle“ geht etwas zu weit: es klingt in erster Linie herablassend und ganz nach dem Motto “ Hier bin ich – Maier! – Ich, der Agentur-Texter Maier! -mit zig Awards und Auszeichnungen – und wer bist Du? Du kleiner Kunden-Krümel ohne einen blassen Schimmer an Ahnung?“ – Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich rächt, so aufzutreten!
Die riesig langen Texte, die Sie erst vor Kurzem noch hatten haben Sie wohl merklich gekürzt – das ist auch gut so. In der Kürze liegt die Würze!
Die Bemerkung „nur in einer großen Werbeagentur…findet man wahres Können und Glück für sein Texterleben“ … ist nicht nur reichlich vage sondern auch unwahr.
In meiner Diplomarbeit „Moderne Werbemittel – sind sie heute noch kreativ?“ ging ich in 3 Teilen auf diese Frage ein. Der 1. Teil meiner Arbeit beschäftigt sich nur mit der Frage der Kreativität. Ergebnis: nicht nur Texter aus großen Werbeagenturen sondern auch eine Krähe die ihr Nest aus Drahtbügeln für den Nachwuchs baut ist kreativ – genauso wie ein Tontöpfer aus der Toskana und ein Dorf-Friseur. Kreativität ist die Leistung unserer rechten Gehirnhälfte – mehr nicht!
Kreativität ist auch kein Vorrecht von Agenturlern sondern eine Gabe & Fähigkeit unser Leben zweckdienlich und sinnvoll zu gestalten. Mehr ist Kreativität nicht! Hochmut und Stolz von Agenturlern lassen diese einfache Einsicht nur nicht zu – das ist auch alles.
Auch die Qualitätsfrage in der Kreativbranche ist mehr als fraglich. Es gibt keine Qualitäten bei Ideen – es gibt nur ANDERE Ideen, die aber keineswegs schlechter oder besser sind.
Ich achte Texte aus Agenturen sowie aus „freien Metiers“, mehr aber noch die, die aus „Freien Metiers“ kommen. Denn ich weiß selbst aus eigener Erfahrung wie viel Kraft und Mühe es macht, sich ein 2. Standbein aufzubauen, an der Fachkompetenz zu feilen und nebenbei noch auf 400 -Basis arbeiten zu gehen, um das eigene Geschäft aufzubauen, sich jeden Cent zusammen zu sparen, die Gesamtverwantwortung – nicht nur fürs Kreative sondern auch für die Verwaltung, die Steuern und finanzen zu haben – und natürlich auch für die Kundenakquirierung.
Wer in einer Agentur lernt, lernt diesen direkten Kontakt zu den Kunden nicht. Er bekommt auch nicht die nötige soziale Kompetenz vermittelt, die ein guter Kundenkontakt voraussetzt, denn es steht die Agentur im Rücken, die den Lehrling bereits mit allen Komfort verwöhnt. Schade! Denn Werbung sollte zum Kunden passen – und nicht zum Texter oder zur Agentur!
Meine Antwort:
Hallo Frau K.,
da bin ich aber jetzt ratlos. Was bezweckt denn Ihre Mail?
Es lag mir natürlich fern, gute Texter ohne Agentur-Background zu beleidigen. Zumal ich keine solche kenne.
Wenn Sie sich aber einmal anschauen wollen, was sich im Internet so alles an „Textern“ tummelt, können Sie leicht feststellen, dass es schon gravierende Unterschiede gibt…
Gerade mittelständische Kunden stehen diesem Überangebot oft ratlos gegenüber und eine langjährige Agenturlaufbahn absolviert zu haben, kann hier schon eine Orientierungshilfe geben.
Was Ihre Bedenken bezüglich der von mir –scherzhaft– unterstellten textlichen Totalinkompetenz von Kunden angeht, da kann ich Ihnen versichern: Bis jetzt hat sich darüber noch keiner beschwert. Im Gegenteil. Viele fühlten sich davon getroffen und präzise angesprochen. Die geringe Absprungrate meiner Seite spricht für sich. Wer erstmal hier ist, bleibt meist länger.
Vielleicht bin ich manchen nicht dienstleisterisch genug, aber dafür gibt es ja Kollegen, die sich ein „zweites Standbein“ aufbauen wollen. Ich tue das nicht. Die Texterei und alles, was dazu gehört, sind schon immer mein einziges „Standbein“. Und das seit nunmehr 2 Jahrzehnten.
Meine Auffassung von Kreativität hat auch mit Ihrem Töpfer und seiner Toskana-Krähe, die sich aus alten BHs einen schönes Zuhause basteln, nichts zu tun. Das wäre ja so, als würde man die Kreativität, die sich in einem Batik-Kurs für unerfüllte Zahnarztgattinnen manifestiert, mit dem Genie Picassos gleichsetzen. – Das geht schon mal gar nicht. Warum nicht?
Das eine ist Selbstverwirklichung. Das andere Arbeit. Also ganz etwas anderes. Die Zahnarztgattinen malen mit der dafür vorgesehenen Hirnhälfte. Picasso malte mit seinem Herzen und seinen „cojones“. Und zwar mit allen beiden, nicht nur dem linken.
Außerdem gilt: Natürlich gibt es gute und schlechte Ideen. Das allermeiste, das uns täglich als Werbung serviert wird, ist kompletter Müll. Wie kommen Sie darauf, dass schlechter nur „anders“ ist?
Ich könnte noch endlos so weiter plaudern, muss aber dringend noch ein paar Texte fertig machen.
Vielen Dank, dass Sie sich so lange mit meiner Seite beschäftig haben! Ich wünsche Ihnen viel Glück für Ihre weitere berufliche Tätigkeit und überhaupt. Machen Sie Ihr Ding und ärgern Sie sich nicht soviel über die doofen Kollegen.
Das bringt nix.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Maier