Wer­be­tex­ter und Inter­net: Die pro­gram­mier­te Kri­se

Als Agen­tur­tex­ter hat man eher sel­ten Iden­ti­täts­kri­sen, und wenn, spie­len sich die oft nur im eng umris­se­nen Aqua­ri­um der eige­nen Pro­fil­neu­ro­sen ab: Mein Kol­le­ge ver­dient mehr. Der Chef geht schon seit 2 Wochen nicht mit mir essen. War­um wird ein Trot­tel, der noch nie einen Krea­tiv­preis gewon­nen hat, plötz­lich Geschäfts­füh­rer – und nicht ich, obwohl und über­haupt?
So in der Art.

Macht sich der Wer­be­tex­ter dann irgend­wann frei, um fröh­lich ins Hai­fisch­be­cken des Fre­e­lan­cer­tums zu hüp­fen, bekommt er es plötz­lich mit Anfein­dun­gen zu tun, die er sich nie hät­te träu­men las­sen – und die allein in der mas­sen­haf­ten Anwe­sen­heit selbst­er­nann­ter „Kol­le­gen“ bestehen.

Las­sen Sie mich durch. Ich bin Wer­be­tex­ter!

Mei­ne Güte: Wer sich im Inter­net alles „Wer­be­tex­ter“ nen­nen darf, ohne augen­blick­lich wegen Amts­an­ma­ßung oder Titel-Erschlei­chung ver­haf­tet zu wer­den! Jeder Nerd, der drei Web­sei­ten beschrif­tet hat, trumpft plötz­lich damit auf. Von den Legio­nen Unse­li­ger, die ihr Geld in Wer­be­tex­ter-Fern­lehr­gän­gen ver­brannt haben, gar nicht erst zu reden. Noch kei­nen Kun­den glück­lich gemacht. Noch nie etwas gedruckt, ver­filmt, ver­tont, aber ein Wer­be­tex­ter-Zer­ti­fi­kat an der Wand! Ja, wo leben wir denn?

In Zei­ten des Inter­nets.

War Papier schon gedul­dig, html ist kom­plett wil­len­los. Hier kann jeder ein­fach alles behaup­ten. Nur ob er sich damit behaup­ten kann, lässt sich kaum nach­prü­fen. Ein­fach mal eine Sei­te „rein­stel­len“. Irgend­je­mand wird sich schon mel­den, um einen Auf­trag zu ver­ge­ben.

Die­se Web­sei­te bleibt da dann wahr­schein­lich für Jahr­hun­der­te ohne zu ver­gil­ben, wäh­rend der Fami­li­en­zweig des Autors auf­grund von Lebens­un­tüch­tig­keit schon längst vom Win­de ver­weht ist. Und da ist er dann noch immer zu sehen: Ger­ne im Anzug, Dienst­leis­ter­lä­cheln, am bes­ten vor dem Rech­ner, das „Zer­ti­fi­kat“ hin­ter sich an der Wand, wie bei Fri­seu­ren der alte Schu­le.
Gespens­tisch.

Doch es kommt noch schlim­mer. Der Begleit­text faselt etwas von AIDA-For­mel und den „Geheim­nis­sen erfolg­rei­cher Wer­be­tex­te“, die kei­ne Geheim­nis­se sei­en, weil sie angeb­lich jeder ler­nen kann. Und spä­tes­tens hier fragt sich der sen­si­ble Tex­ter, ob es nicht ein Feh­ler war, auf den Juni­or-Chef-Pos­ten im väter­li­chen Com­pu­ter-Impe­ri­um ver­zich­tet zu haben.

Ent­ge­gen aller Behaup­tun­gen von Leu­ten, die es nicht bes­ser wis­sen oder von Fern­aka­de­mi­en, die damit Geld ver­die­nen, gilt es drei Din­ge klar­zu­stel­len. Und das ein für alle­mal, und kom­me mir spä­ter kei­ner, der sagt, er habe es nicht gewusst:

1. Tex­ten kann man nicht ler­nen.

2. Erfah­rung auch nicht.

3. Es gibt kei­ne „Geheim­nis­se erfolg­rei­cher Wer­be­tex­te“.

Es gibt nur Tex­ter, die sich, sofern sie die ent­spre­chen­den Erfah­run­gen gesam­melt haben, irgend­wann Wer­be­tex­ter nen­nen dür­fen.

Wann das der Fall ist, muss jeder mit sei­nem Gewis­sen ver­ein­ba­ren.

Aber im Inter­net kommt man ja auch ganz gut ohne aus.