Seitdem ich meinen Lieblings-Nachrichtensender nicht mehr empfangen kann, weil ich aufgrund meiner schlampig verbauten Hausantennenanlage auf DVB-T umgerüstet habe, läuft bei mir öfter mal dieser andere Nachrichtenkanal, bei dem ich noch nicht weiß, ob wir jemals Freunde werden.
Denn mir ist aufgefallen, dass er mit meinem Lieblings-Nachrichtensender ungefähr soviel zu tun hat, wie die Barbara Salesch-Show mit einer Gerichtsverhandlung. Oder die wüsten Asoten-Gelage bei Oliver Geissen mit Talk-Shows.
Nachts tut sich hier Unheimliches: Aliens, Illuminaten, Atlantis, Ufos… keine Verschwörungstheorie, die nicht effektvoll stundenlang widerlegt wird.
Gestern, als ich wegen einer schweren Bronchitis nicht schlafen konnte und vom Fieber umnachtet durch die Kanäle zappte, blieb ich bei besagtem Sender hängen, der sich gerade mit der Frage beschäftigte: Konnte Hitler flüchten?
Oha! Hitler gar nicht tot? Mit Eva Braun in Argentinien im Kreise seiner blonden Kinder den Ruhestand genießend? Gefühlte vier Stunden später stellte sich aber heraus: Nö. Hitler war ziemlich sicher doch tot und vor seinem Berliner Bunker verbrannt worden.
Zwischendurch im Bild: Ein dicklicher, dunkelhaariger Mann mit Seitenscheitel und Hitlerbärtchen, der mit Eva Braun bzw. einer Schauspielerin, die außer einer blonden Perücke ebenfalls keinerlei Ähnlichkeit mit ihrem Vorbild aufwies, Kaffee trank.
Und weil Regisseur und Produzent wussten, dass die ihnen vermutlich von privatrechtlichen Controllern zugewiesenen Darsteller nicht wirklich für den Job taugten, filmten sie sämtliche Szenen mit den beiden in mauscheliger Unschärfe, was alles so wirken ließ, als würde man mit leicht zusammengekniffenen Augen einen Blick in die Geschichte werfen.
Das war unheimlich aber auch irgendwie brillant! Und vielleicht sogar ein mutiger Schritt in Richtung eines noch zu erfindenden Zukunfts-Markts. Von geschichtlich bedeutenden Persönlichkeiten hat man schließlich längst alle Dokumente gesehen. Zerschlissene Super8 Urlaubsfilme aus bemoosten Privatarchiven und Fotoalben aus toten Briefkästen im Schwarzwald inklusive.
Ich stelle mit vor, dass es irgendwo auf der Welt eine Casting-Agentur gibt, die unscharfe Setcards verschickt. Diese Agentur hat vielleicht nur 5 Darsteller im Portfolio, die aber mit kleinen Accessoires und Veränderungen an Frisur und Bart 25 verschiedene Darsteller mimen können. Beispielweise einmal Churchill (mit Mantel, Hut und Zigarre) und ein andermal Kohl (nur mit Brille). Oder Paul McCartney damals und Angela Merkel heute. (Paula McMerkel.) Mit ein paar Polstern an den richtigen Stellen dürfte das für die flotten Make-Up-Artists von heute überhaupt kein Problem darstellen.
Vielleicht könnte man ein neues Casting-Format daraus entwickeln, bei dem ein unscharfes Bohlen-Double in der Jury sitzt, das Komplimente verteilt wie: „Ich find dich einfach rattenunscharf!“ Die Kandidaten müssten nicht mal echte Tränen vergießen. Tränennässe lässt sich schließlich auch mit einem halben Pfund Nivea simulieren, denn die Übertragung ist natürlich ebenfalls unscharf, was echte Tränen sowieso nicht zur Geltung kommen lassen würde.
Bei der Gelegenheit möchte ich auch gleich für unscharfe Werbetexte plädieren. Zum einen, weil gerade lange Werbetexte eh keine Sau mehr liest. (Von Geldanlegern, die um jeden Preis betrogen werden wollen, vielleicht einmal abgesehen.) Unscharfer Blindtext, bei dem nur die Schlüsselworte einigermaßen lesbar hervortreten, würde für die meisten Zwecke vollauf genügen. Und der Trend geht ja auch in diese Richtung.
Dank der unheiligen Dreifaltigkeit von Strategic-Plannern, Controllern und Marktforschern besteht der Job des Werbetexters heutzutage im Großen und Ganzen nur noch darin, Powerpoint-Präsentationen menschlich zu vermauscheln, wobei der Stil des Textes im Grunde egal ist, solange das Schlagwortgeklingel nicht durch zuviel Kreativität gestört wird. Mit „Ideen“ erntet man bei diesen Menschen oft nur ein Naserümpfen, als hätte man gerade eine drogenverseuchte Hippie-Plazenta aus den 60ern auf den Designer-Konferenztisch gelegt. Denn Kreativität ist schwer bewertbar. In einer Marktforschungssituation gewinnt immer das Bekannte, bereits da Gewesene. Henry Ford soll einmal gesagt haben, dass sein Entwurf eines Autos in der Markforschung durchgefallen wäre. Denn Autos gab es damals noch nicht, weshalb ihm die Mafo-Spezialisten geraten hätten, schnellere Pferde zu züchten.
Die wachsende Abneigung von Agenturen und Kunden gegenüber Kreativität erinnert stark an den Niedergang der Musikindustrie. Plattenfirmen waren dank Techno und Logic-Audio schon fast in der Lage, Musik komplett ohne Künstler herstellen zu können, die in den Augen der Geldmenschen eh nur nervten und zuviel Geld kosteten. Wohin das führt, wenn man sich seiner Kernkompetenzen beraubt und ein Geschäftsmodell vorantreibt, das die eigene Ware völlig austauschbar macht, zeigt sich an ihrem Beispiel sehr schön.
Kennt noch jemand CBS oder Phonogram? Na, bitte!
Was standen wir als junge Menschen mit schlotternden Knien in den Büros so genannter A&Rs herum, während unsere Demos liefen und der Plattenfirmenmitarbeiterdrecksack telefonierte. Hinterher sagte er dann so Sachen wie: „Also die Becken gehen gar nicht!“ Womit die Audienz beendet war.
Wobei das grundsätzliche Problem bestehen bleibt, dass Controller und Strategic Planner immer zuletzt entlassen werden. Die anderen haben dann natürlich längst neue Jobs.
Als Blur-Double beispielweise. Ich könnte Göring gut. Oder Gründgens. Oder um mit Hans Arp zu sprechen: Oh Sommerzeit. Oh weite, weite Welt!