Niemand würde einen Zahnarzt nach Tipps und Tricks fragen, wie man sich Zahnersatz aus Baumarktkrempel selbst basteln kann. Und niemand käme je auf die Idee, einen Schreiner, den er gerade in den gelben Seiten gefunden hat, zu löchern, wie man Einbauschränke in Eigenleistung zimmert.
Warum nicht? Im ersten Fall steht man mit einem Bein in der Klapse. (Merke: Die ansässigen Mediziner kennen sich alle und tauschen sich untereinander aus.) Im zweiten müsste man sich auf eine exzellente Tirade an Schimpfworten und Verwünschungen gefasst machen, denen man nur wenig entgegenzusetzen hätte. Da sind Handwerker ziemlich klasse drin. (Und ich kann jedem nur empfehlen, sich ab und an mal mit einem auf ein Bier zu treffen. Das kann viel Geld für den Therapeuten sparen.)
Kostenlose Tipps für Werbetexte? – Geschenkt!
Aber zurück zum Thema. Warum meinen manche Leute eigentlich, für Pipifax wie Autoreparaturen oder Herzschrittmacher Geld ausgeben zu müssen, für professionelle Werbetexte aber nicht?
Hier scheint der Irrglaube vorzuherrschen: Werbetexten kann im Grunde jeder, wenn er nur die Zeit dafür hätte. Oder wenn man ihm ein paar „Tricks und Tipps“ verraten würde. Kostenlos versteht sich, denn im Leben bekommt man ja auch sonst alles geschenkt.
Aufsitzen! Der IHK zum Beispiel.
Im germanisch-preußischen Kollektivbewusstsein stellt das Werbetexten irgendwie keine ernstzunehmende Tätigkeit dar.
Das kann u.a. daran liegen, dass der Beruf des Werbetexters von der IHK nicht wirklich anerkannt wird. Im Gegensatz zu dem des „Sattlers“ – auf den eine stolze Reiternation wie Deutschland aus leicht nachvollziehbaren Gründen nicht verzichten mag.
Der Beruf des Werbetexters kommt in keiner Ständerolle vor. Im Mittelalter hätten ihn deshalb sogar Juden ausüben dürfen, denen „christliche Berufe“ weitgehend verwehrt waren. Haben sie aber nicht. Weil: Damals gab es noch keine moderne Marktwirtschaft.
Werbetexter waren Minnesänger, Prediger, Hofschreiber, Dichter oder Autoren frommer Sinnsprüche. Also arme Wichte und pekuniär meist prekär unterwegs.
Apokalyptische Sprachblähung.
Wie ganz anders doch unsere herrliche Post-Moderne.
Wir schreiben das Jahr 2008. Die Welt stöhnt unter den Folgen einer Spekulationsblase, welche die gesamte Wirtschaft und das Leben, wie wir es kennen, komplett zu zerreißen oder zumindest auf den Kopf zu stellen droht.
Eine platzende Spekulationsblase: Wer dabei an Blähungen und Flatulenz denkt, liegt richtig, denn der wahre Grund für das Armageddon, das uns erwartet, ist die viel zerstörerische Textblase.
Wo man hinschaut nichts als Worte. Die Medien: Eine einzige endlose, sich ständig aus sich selbst erschaffende Tirade. Die Städte: zugekleistert mit Texten aller Art.
Wenn wir uns dem nicht ganz bewusst entziehen, werden wir gnadenlos zugetextet. Von Radiogeräten, Fernsehern, Zeitschriften, Plakaten, Flyern, Angebotszetteln, die uns auf der Straße in die Hand gedrückt werden… und natürlich dem allgegenwärtigen Internet. (Das 2008 noch gar nicht so allgegenwärtig war: Das erste iPhone wurde erst im Jahr davor vorgestellt.)
The heavy heavy monster-sound.
Wie die Band Madness in den 80ern sang: Don’t watch this. – Watch that! Jeder will um jeden Preis ein Zipfelchen unserer Aufmerksamkeit ergattern, damit wir ihm dieses oder jenes abkaufen. Ob Produkte, Meinungen oder politische Ideen: Verkauft muss werden. Und die Zielscheibe sind wir.
Nur das Gesumse von „Fachleuten“ hat finanzmarktferne Omis dazu gebracht, all Ihre Ersparnisse mit spekulativen Lehmann-Zertifikaten zu vernichten. Werbung begegnet uns überall. Manchmal sogar als harmlos rotwangiger Bankangestellter, der unser Enkel sein könnte.
Ohne die Textblase wäre eine Kreditblase nicht möglich gewesen.
Werbung ist gefährlich.
Jeden Tag sterben mehr Menschen an Nussallergie als an Terroranschlägen. Trotzdem messen wir Letztem mehr Brisanz bei. – Warum?
Sind wir vielleicht den Textblasen der Politik aufgesessen, die unsere Freiheitsrechte einschränken will? Natürlich nur zu unserem Schutz, versteht sich?
Politiker, Fachleute, Journalisten, Soap-Autoren, Werbetexter: „Alle fressen aus dem selben Napf“, wie es Al Pacino in „Im Auftrag des Teufels“ so schön formuliert.
Ohne uns läuft der Laden nicht. Denn ohne uns gäbe es nur 3 Waschmittel statt 20. Ohne uns würden die Leute nicht in die Karibik reisen, sondern im Sauerland bleiben. Ohne uns gäbe es keine Promis, keine Schönheitsoperationen, keine Mode, keine Produkte, die schön, glücklich und zufrieden machen, kein Geld für die Raumfahrt und keine Mehrheiten für politische Programme.
Anders formuliert: Ohne uns gäbe es keine Kriege, keine Essstörungen, keine Umweltverschmutzung, kein Hartz IV, kein GNTM.
Wir haben das einfache menschliche Dasein bis zum Platzen aufgepumpt mit heißer Luft.
Und das ganz allein mit Worten.
Wir sind die Bösen.
Glauben Sie ernsthaft, Sie bekämen von mir oder meinen Kollegen irgendetwas umsonst, das Ihnen wirklich weiterhilft?
Was nix kostet, ist auch nix. Außer manchmal.
Aber Polemik beiseite. Eigentlich sind Werbetexter ganz nette, oft liebenswerte Menschen. Sie üben lediglich einen seltsamen Beruf in einer komischen Welt aus, die von einer ziemlich durch- und zugeknallten Menschheit dominiert wird.
Dabei können Werbetexter oft auch ausgesprochen großzügig sein. Buchen Sie einen, z.B. um einen schicken, verkäuferischen Text für die Startseite Ihres Online-Shops zu bekommen, kann es sein, dass er ihnen obendrein noch wertvolle Tipps für die Suchmaschinenoptimierung gibt und Ihnen einen Grafiker besorgt, der Ihr Layout auf Vordermann bringt. Beides quasi unentgeltlich zum Text-Honorar dazu.
Zum einen aus Eitelkeit: Er will, dass jeder seinen tollen Text liest, der dann keinesfalls in einem ramschigen Umfeld stehen darf. Zum anderen aus Gutmütigkeit: Er freut sich, wenn sein Kunde erfolgreich, glücklich und zufrieden ist. Daraus bezieht er seine Selbstachtung. Die Bezahlung ist für ihn ein wichtiges Kriterium für die Wertschätzung seiner Arbeit.
Denn eigentlich gibt es seinen Beruf ja gar nicht.
(Text wurde 2018 leicht redigiert.)
Andreas Kuhn says:
Gute Werbetexte kosten nun mal Geld. Und das ist auch gut so.
Herr Maier, vielen Dank für diesen schönen Text. Er ist eine Labsal für die Kreativen – in einer Zeit in der es das Beste anscheinend nur noch „for free“ gibt. Oder eben doch nicht?
Freundliche Grüße
Andreas Kuhn
camposina says:
Hallo! Sie haben ja recht! Ich wollte mir einen billigen Jakob machen und bin auf Ihre Seite gelandet. Okay, ich strenge jetzt meinen Hirn an und werde versuchen ein Text zu schreiben, der sich so witzig und treffgenau ist, wie Ihrer. Sie haben mich überzeugt,
danke
camposina
maiertext.de says:
Danke. Dann mal viel Erfolg! 🙂